Sonntag, 11. Oktober 2020

Dokumentarfilm „The True Cost“ zeigte die Abgründe der globalen Textilindustrie

Ich wusste nichts über Mode“, erzählte der Dokumentarfilmer Andrew Morgan zu Beginn seines Films „The True Cost Der Preis der Mode“.
„Ich hatte nur ein paar Fragen“, hörte man ihn aus dem Off sagen. „Doch was ich entdeckte, hat meine Denkweise über Mode für immer verändert, und ich hoffe, das tut es bei Ihnen auch.“ 
Es gibt wohl kaum einen Markt, bei dem Schein und Realität so weit auseinander liegen wie bei der Bekleidungsindustrie. Auf der einen Seite gibt es Modeschauen mit Starmodels und rotem Teppich, auf der anderen Seite wird die Kleidung zumeist unter sklavenähnlichen Bedingungen in sogenannten Drittewelt-ländern produziert. Darum wird die Ausbeutungskette, die hinter jedem einzelnen Kleidungsstück steckt, hinter der Glamourwelt der Modeindustrie unsichtbar.

Während Damian Stronczik (rechts) von der Fach- und Koordinierungsstelle für „Demokratie leben!" und Hauptorganisator Jürgen Nestmann die Zuschauer im Park hinter der vhs Ennepe-Ruhr-Süd begrüßten, 
bereitete das Team vom filmriss Kino alles für die Open Air-Vorführung vor. 

Als 2013 die Textil-fabrik Rana Plaza in Bangladesch einstürzte, über tausend Arbeiter-innen unter Trüm-mern begrub und mehr als zweitau-send Schwerver-letzte hinterließ, sah es für einen Moment so aus, als bräche nun die mediale Empörung über die katastrophalen Produktionsbedingungen der globalisierten Modeindustrie den schönen Schein, der einen hindert, die schmutzigen Praktiken des Systems Fast Fashion wahrzunehmen. Die Mitleidsauf-wallung währte jedoch nur einen Wimpernschlag und seither sind noch mehr Markenzentren mit immer neuen Style-Angeboten zu Billigpreisen rund ums Jahr hinzugekommen. 
Wenn die Menschen zum Beispiel in Deutschland Monat für Monat neue günstige T-Shirts und Partyklamotten kaufen, hat das globale Auswirkungen. Der Mehrkonsum drückt nicht nur die Preise, er vergrößert die Müllberge, intensiviert die Landwirtschaft, verdammt Millionen von Fabrikarbeiterinnen in Asien zu einem Leben in Armut und Not. Der amerikanische Dokumentarfilmer Andrew Morgan stellte mit seinem Film dieses oft unreflektierte Konsumverhalten in der westlichen Welt in einen direkten Zusammenhang mit dem Elend am Anfang der Produktionskette. Seine aufrüttelnde Dokumentation bestach durch drastische Bilder und eine kluge Argumentation. 
Morgan porträtier-te die bengalische Näherin Shima, die für eine bes-sere Zukunft ihres Kindes schuftet. Der Preis dafür: Sie kann ihre Tochter nur zwei Mal im Jahr sehen. „The True Cost“ zeigte, welche Auswüchse das globalisierte Wirtschaftssystem hat: ätzende gerbstoffverseuchte Flüsse, ausgelaugte, vergiftete Böden, auf denen keine Baumwolle mehr wächst, Gensaatgut, verschuldete Kleinbäuer*innen die in den Selbstmord getrieben werden, Mütter, deren Kinder schon krank auf die Welt kommen. Als krassen Kontrast dazu zeigte der Regisseur gigantische Shoppingmeilen unter dem Stern der „Fast Fashion“ – der „schnellen Mode“ von Primark, H&M und Co. Hinzu präsentierten sich dann auch noch jene, die sich in dieser Debatte immer wieder zu Wort melden. Designerin Stella McCartney ist so jemand. Seit Jahren setzt sie mit ihrer eigenen Modelinie auf nachhaltige Kleidungsstücke und tritt für faire Bedingungen in der Textilproduktion ein. Gleiche Töne hörte man auch von Livia Firth, die sich ebenfalls seit Jahren für ökologische Produkte stark macht. 

Kein Appell am Ende, kein Kommentar aus dem Off, nur die weinende Shima. Und über allem die Frage: Sollen Menschen dafür sterben, dass ein T-Shirt fünf Euro kosten kann? Diese Frage wird zwar nicht explizit ausgesprochen, allein das Gewissen der Zuschauer stellte sie. „The True Cost" war ein Schlag ins Gesicht der Menschheit, der aufzeigte, wie viele Baustellen auf dem Weg zur Menschlichkeit noch geschlossen werden müssen, bis sich alle wieder reinen Gewissens im Spiegel betrachten können. 
Eine Veranstaltung, die am 19. September während der „Fairen Woche 2020“ stattfand und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundes-programms „Demokratie leben!" gefördert wurde. André Sicks