Freitag, 14. Januar 2022

AWO Geschäftsführer Jochen Winter positioniert sich zur geplanten Legalisierung von Cannabis

Um es gleich vorweg zu sagen,
neu sind die Ideen nicht, denn die deutsche Drogenpolitik zu Cannabis scheitert nicht erst in der Gegenwart. Sie war von Beginn an verfehlt. Schon vor 30 Jahren setzte die Sozialdemokratische Partei mit dem Positionspapier „Neue Wege in der Drogenpolitik“ auf Entkriminalisierung, legalen Erwerb und kontrollierten Verkauf von Haschisch und Marihuana. Nur die Umsetzung scheiterte bisher. Zum einen war ein Umschwenken mit der Union nicht zu machen, zum anderen hatte die SPD auch irgendwie Angst vor der eigenen Courage. 

Allerdings ist es dem damaligen NRW-Gesundheits- und Sozialminister Herrmann Heinemann zu verdanken, dass für Heroinabhängige die Substitution mit Methadon möglich wurde. Ebenfalls unter großen Mühen und gegen viele Widerstände erreichte er einen Paradigmenwechsel, kippte das Abstinenzgebot und rettete vermutlich vielen tausend Betroffenen das Leben. 

Aber Cannabis ist ein ganz anderer Stoff. Die geplante Gesetzesänderung trägt der Lebensrealität von Millionen Deutschen Rechnung. Cannabis als Genussmittel ist längst etabliert, daran konnten auch die Prohibition, Verfolgung und Kriminalisierung von bis zu der Hälfte der jungen Menschen nichts ändern. Damit soll nicht behauptet werden, Cannabiskonsum beschränke sich auf Jugendliche und junge Erwachsene. Der kiffende Vater des Münsteraner Tatortkommissars Thiel ist zwar geschauspielert, gleichwohl hat die Konstellation nichts Ungewöhnliches.
 
Auch Bündnis 90/Die Grünen und die Freien Demokraten sowie alle Parteien der heutigen Ampelkoalition setzen auf die Freigabe. Also – wenn nicht jetzt, wann dann? 

Mit Paradigmenwechseln und ver-meintlichen Tabubrüchen, mit dem Einnehmen eines anderen Blick-winkels tun wir uns in Deutschland schwer. Gerade die Kriegs- und Nachkriegsgeneration verfuhr häufig nach dem Motto „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“. Denken wir an die Auseinandersetzungen um den § 218 oder die Akzeptanz anderer Formen von Sexualität, Liebes- und Lebenspartnerschaft, wird uns schnell klar, wieviel Druck sich aufbauen muss, bevor ein Umdenken hierzulande erfolgt und in Gesetzen umgesetzt wird.

Jochen Winter ist seit 30 Jahren Geschäftsführer der AWO EN und war Anfang der 80er Jahre der erste Drogenberater im Ennepe-Ruhr-Kreis. 
Im Anschluss vertrat er über 15 Jahre lang die verbandliche Drogenpolitik auf Landesebene. 

Die AWO NRW hatte als Antwort auf die erste Positionierung der SPD das Thesenpapier „Neue Wege in der Drogenhilfe“ ent-worfen und einhellig beschlossen. Wer Anfang der 90er akzep-tierende Drogenarbeit machte, war schnell als Ketzer verschrien, dem wurde Begünstigung und Verführung unterstellt. Dabei konnte man schon vor mehr als 30 Jahren konsumierende Jugendliche nicht erreichen, wenn man den Konsum von Cannabis grundsätzlich verteufelte. „Nun sagen Sie denen nochmal, dass das gefährlich ist“, lautete denn auch der gut gemeinte Zwischenruf eines Lehrers beim Besuch der Prophylaxefachkraft im Unterricht. Zurück-haltendes Gegluckse und Gefeixe war die Reaktion aus der Klasse, in der sicherlich auch der eine oder andere saß, der einen problematischen, weil exzessiven Konsum betrieb und der Begleitung auf dem Weg zur Reduzierung bedurfte. Eine Technik, die nicht wenigen Bier-, Schnaps- und Weintrinkern, obwohl Alkohol unsere „Kulturdroge“ ist, bis heute nicht erlernt haben. Trauen wir uns also, endlich einen anderen Blickwinkel einzu-nehmen, das Verbot aufzuheben, von der Entkriminalisierung zur Legalisierung zu steuern und wünschen wir den Koalitionären Mut und eine glückliche Hand. „Für erwachsene Menschen soll es legal möglich sein, in lizensierten Geschäften Cannabis zu kaufen“, steht im Koalitionsvertrag. Es wird Zeit. Macht Euch locker!                                                    Jochen Winter