neu sind die Ideen nicht, denn die
deutsche Drogenpolitik zu Cannabis scheitert nicht erst in der
Gegenwart. Sie war von Beginn an verfehlt. Schon vor 30 Jahren
setzte die Sozialdemokratische Partei mit dem Positionspapier „Neue
Wege in der Drogenpolitik“ auf Entkriminalisierung, legalen Erwerb
und kontrollierten Verkauf von Haschisch und Marihuana. Nur die
Umsetzung scheiterte bisher. Zum einen war ein Umschwenken mit der
Union nicht zu machen, zum anderen hatte die SPD auch irgendwie Angst
vor der eigenen Courage.
Allerdings
ist es dem damaligen NRW-Gesundheits- und Sozialminister Herrmann
Heinemann zu verdanken, dass für Heroinabhängige die Substitution
mit Methadon möglich wurde. Ebenfalls unter großen Mühen und gegen
viele Widerstände erreichte er einen Paradigmenwechsel, kippte das
Abstinenzgebot und rettete vermutlich vielen tausend Betroffenen das
Leben.
Aber
Cannabis ist ein ganz anderer Stoff. Die geplante Gesetzesänderung
trägt der Lebensrealität von Millionen Deutschen Rechnung. Cannabis
als Genussmittel ist längst etabliert, daran konnten auch die
Prohibition, Verfolgung und Kriminalisierung von bis zu der Hälfte
der jungen Menschen nichts ändern. Damit soll nicht behauptet
werden, Cannabiskonsum beschränke sich auf Jugendliche und junge
Erwachsene. Der kiffende Vater des Münsteraner Tatortkommissars
Thiel ist zwar geschauspielert, gleichwohl hat die Konstellation
nichts Ungewöhnliches.
Auch
Bündnis 90/Die Grünen und die Freien Demokraten sowie alle Parteien
der heutigen Ampelkoalition setzen auf die Freigabe. Also – wenn
nicht jetzt, wann dann?
Mit
Paradigmenwechseln und ver-meintlichen Tabubrüchen, mit dem Einnehmen
eines anderen Blick-winkels tun wir uns in Deutschland schwer. Gerade
die Kriegs- und Nachkriegsgeneration verfuhr häufig nach dem Motto
„Es kann nicht sein, was nicht sein darf“. Denken wir an die
Auseinandersetzungen um den § 218 oder die Akzeptanz anderer Formen
von Sexualität, Liebes- und Lebenspartnerschaft, wird uns schnell
klar, wieviel Druck sich aufbauen muss, bevor ein Umdenken
hierzulande erfolgt und in Gesetzen umgesetzt wird.
Jochen
Winter ist seit 30 Jahren Geschäftsführer der AWO EN und war Anfang
der 80er Jahre der erste Drogenberater im Ennepe-Ruhr-Kreis.
Im
Anschluss vertrat er über 15 Jahre lang die verbandliche
Drogenpolitik auf Landesebene.
Die
AWO NRW hatte als Antwort auf die erste Positionierung der SPD das
Thesenpapier „Neue Wege in der Drogenhilfe“ ent-worfen und
einhellig beschlossen. Wer Anfang der 90er akzep-tierende Drogenarbeit
machte, war schnell als Ketzer verschrien, dem wurde Begünstigung
und Verführung unterstellt. Dabei konnte man schon vor mehr als 30
Jahren konsumierende Jugendliche nicht erreichen, wenn man den Konsum
von Cannabis grundsätzlich verteufelte. „Nun sagen Sie denen
nochmal, dass das gefährlich ist“, lautete denn auch der gut
gemeinte Zwischenruf eines Lehrers beim Besuch der
Prophylaxefachkraft im Unterricht. Zurück-haltendes Gegluckse und
Gefeixe war die Reaktion aus der Klasse, in der sicherlich auch der
eine oder andere saß, der einen problematischen, weil exzessiven
Konsum betrieb und der Begleitung auf dem Weg zur Reduzierung
bedurfte. Eine Technik, die nicht wenigen Bier-, Schnaps- und
Weintrinkern, obwohl Alkohol unsere „Kulturdroge“ ist, bis heute
nicht erlernt haben. Trauen wir uns also, endlich einen anderen
Blickwinkel einzu-nehmen, das Verbot aufzuheben, von der
Entkriminalisierung zur Legalisierung zu steuern und wünschen wir
den Koalitionären Mut und eine glückliche Hand. „Für erwachsene
Menschen soll es legal möglich sein, in lizensierten Geschäften
Cannabis zu kaufen“, steht im Koalitionsvertrag. Es wird Zeit.
Macht Euch locker! Jochen Winter