Donnerstag, 9. Februar 2023

Ein Leiden, das nicht in den Hintergrund geraten darf

In Afghanistan hat sich seit der erneuten Machtübernahme der Taliban
im August 2021 die Situation für Frauen und Mädchen weiter verschärft. Sie dürfen nicht zur Schule gehen oder studieren, nicht öffentlich sichtbar arbeiten, sich kaum auf öffentlichen Plätzen aufhalten und müssen sich mindestens mit einem Hidschab verhüllen. Das sind nur einige der Verbote und Diskriminierungen, denen Mädchen und Frauen in Afghanistan ausgesetzt sind – einzig, weil sie weiblich sind. Um Front gegen solch eine Unterdrückung zu machen, haben die Frauen friedliche Proteste für Gleichheit, Rechte, Gerechtigkeit und Frieden organisiert. Und sie setzen diese trotz der brutalen Schläge, Verhaftungen, Inhaftierungen und Entführungen von Demonstrant*innen durch die Taliban auch weiterhin fort, wie der Autor, Journalist und international ausgezeichnete Filmemacher Martin Gerner berichtete. Er war auf Einladung der Integrationsagentur AWO EN zu Gast im filmriss Kino um auf diese Situation und die sich immer weiter verschlechternden Lebensbedingungen der Frauen in Afghanistan aufmerksam zu machen. Der Abend stand unter dem Motto „Lasst sie lernen!“ und gewährte seinen zahlreichen Gästen interessante und vor allem auch nachdenkliche Einblicke in die afghanische Wirklichkeiten von Frauen entlang der vergangenen zwanzig Jahre.
 
Die Integrationsagentur der AWO EN hatte zu einer vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ geförderten Veranstaltung geladen, zu der die Organisatoren und Mitwirken über 60 Besucher im filmriss Kino Gevelsberg begrüßen durften. 

Gerner, der selbst einige Jahre in Afghanistan lebte erzählte, dass er unter anderem für den ARD-Hörfunk über den Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan aus Zentralasien berichtet habe und nach 2001 in die freie journalistische und Autorentätigkeit gewechselt wäre. Seitdem engagierte er sich vor allem aktiv als Helfer beim Aufbau freier Medien und einer unabhängigen Zivilgesellschaft in Afghanistan. „Als Dozent und Trainer habe ich in vielen afghanischen Provinzen und abseits der Hauptstadt Kabul eine neue Generation afghanischer Journalisten und Journalistinnen ausgebildet.“ Eine von ihnen ist Hala. Mit ihr hatte er erst kürzlich mehrere Video-Konferenzen geführt, in denen sie über die aktuelle Lage in ihrem Land und über ihre eigenen Erfahrungen berichtete. Ihren Worten konnte man Trauer und Wut über ein Ausgeliefertwerden an die Taliban, über das erzwungene Exil entnehmen. Solche Gefühle spürte man auch in dem gezeigten Interview mit Karima. Sie gab zum Beispiel all jenen Frauen ein Gesicht, deren Leben im Kampf für Gleichberechtigung und Freiheit früh endete. 
Der 1966 in Den Helder (Niederlande) geborene Gerner zeig-te zudem auch noch Aufnahmen, die er mit seiner Kamera selbst eingefangen hatte. Bilder, wo die Kriegs- und Katastrophen-Berichterstattung auf-hört: beim Alltag der Menschen. Er betonte, dass er nicht, wie die meisten westlichen Journalisten „embed-ded" gearbeitet hätte, sondern „das Glück hatte" ohne militärische Begleitung im Land umherzureisen. Nur so war es möglich, dass viele seiner Fotos oftmals ein Bild von Zuversicht, von Hoffnung und Empathie ausdrückten. Was, wie er sagte, vor dem Hintergrund geschah, weil „unsere Medien(-macher) nur nach Extremen wie Terror und Armut suchen, oder Afghanistan als Synonym für Exotik und Fremdheit inszenieren“. Um zwischendurch ein wenig auf andere Gedanken zu kommen und um das Gehörte und Gesehene zu verarbeiten, präsentierten der Sänger Akbar Rassa und der Tabla-Spieler Farhad Tokhi klassische afghanische Musik, bei der man sinnlich in ihre Kultur eintauchen konnte und die diese vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ geförderte Veranstaltung abrundete.
 
Musikalisch untermalt wurde der Abend für Afghanistan und seine Frauen von dem Sänger Akbar Rassa und dem Tabla-Spieler Farhad Tokhi.

Es sei ein Abend für das Land und seine Frauen gewesen, sagte Sabine Görke-Becker, Leiterin der AWO-Migrationsfachdienste, bei dem die Chance zur Begegnung und zur Solidarität bestand. Gleichzeitig war es auch eine Gelegenheit zum Kennenlernen und Austausch zwischen Einheimischen und den in den letzten Monaten wieder vermehrt zugewanderten Menschen aus Afghanistan. Von daher fiel ihr Fazit positiv aus und sie sagte abschließend, dass in einer Veranstaltung von zwei bis drei Stunden nur kurze Einblicke in die Lebenslage der Frauen in Afghanistan möglich seien und schlug den über 60 Gästen im filmriss Kino vor, sich mit ihr in Kontakt zu setzen, um gemeinsam weitere Begegnungen zu planen und die Diskussion zu vertiefen.                                                                André Sicks