Sonntag, 30. Juni 2024

Von Idaho nach Gevelsberg

Kirmes in Gevelsberg, das ist die längste Nacht des Jahres.
Ein Besuchermagnet, der weit über die Stadtgrenzen hinaus, zahlreiche Besucher und Fans anzieht. Während dieser Zeit kommen auch immer viele ehemalige Bürgerinnen und Bürger zurück in ihre alte Heimat. Sie treffen Verwandte, Bekannte und Freunde, erklimmen den Kirmesberg und wohnen dem bunten Treiben während des Kirmeszug bei. Auch wenn man nicht mehr in Gevelsberg beheimatet ist, für alle ist und bleibt die schrägste Kirmes Europas nach wie vor ein Lebensgefühl, welches tief in ihren Herzen verankert ist und niemals erlischt.
Rund 20 ehemalige Bürgerinnen und Bürger waren in diesem Jahr der Einladung vom Gevelsberger Heimatverein gefolgt, um an dessen Auswärtigentreffen teilzunehmen. Eine Traditionsveranstaltung, die auf über sechs Jahrzehnte zurückblicken kann und somit ein fester Bestandteil des Rahmenprogramms rund um das Kirmesgeschehen ist. „Uns ist es wichtig, dass noch bestehenden Verbindungen und Freundschaften weiterhin gestärkt werden“, sagte der Vereinsvorsitzende Andreas Belz, der gemeinsam mit seinem Vorstandsteam zum gemütlichen Nachmittag eingeladen hatte und dabei auch Bürgermeister Claus Jacobi im Café DIAlog der VHS begrüßen konnte. Beim Blick in die Runde kam das Stadtoberhaupt rasch zu der Erkenntnis, dass die Kirmes fest in der DNA der ehemaligen Mitbürger verankert sei. Kurz gesagt: „Einmal Gevelsberger, immer Gevelsberger.“ 

Begleitend zu Kaffee und Kuchen erfreute man sich an alten Fotos, den einen oder anderen Beitrag op plattduetsch sowie an dem Besuch von Stefan Remmel, dem Vorsitzenden der ältesten Gevelsberger Kirmes-gesellschaft „Pinass Brumse“. Er berichtete den Anwesenden davon, wie es vor 90 Jahren mit seiner Truppe begonnen hatte. In den 1920er Jahren gab es immer wieder Bestrebungen seitens der Stadtverwaltung, die Kirmes nicht mehr wie nach alter Tradition in der Elberfelder Straße stattfinden zu lassen. „Was dazu führte, dass sich ein Protestzug aus den damaligen Dorfbewohnern formierte“, erzählte er und fügte hinzu, dass es die Gründer der Brumse waren, die 1934 dann den ersten Kirmeszug in der Gevelsberger Geschichte ins Leben riefen und damit eine unvorstellbare Bewegung in Gang setzten.
 
Beim Auswärtigentreffen erzählte Stefan Remmel, Vorsitzender der Kirmesgruppe „Pinass Brumse“ (rechts), den Teilnehmenden ein wenig über die Entstehung der ersten und ältesten Kirmesgesellschaft in der Stadt. 

Günther Gedat, Emil Alberts, Hugo Hesterberg, Albert Rothe, Werner Michael und Wilhelm Hedtstück, der damalige Wirt der Gaststätte „Stadtschänke“ in der Neustraße 7, so fuhr er fort, versammelten sich verkleidet als Matrosen, um mit einem Pferdewagen, auf dem sie ein altes Rettungsboot aus dem Strandbad platziert hatten, anlässlich der Kirmes durch die Innenstadt zu ziehen. Mit Gedat stand dabei nicht ein 1. Vorsitzender an der Spitze der Gesellschaft, vielmehr war er ihr „Kapitän“, der sich „Ingenol“ nannte. „Das war sozusagen unsere Geburtsstunde.“ Mit Blick auf den Namen, verriet er abschließend noch kurz, sei dieser „aus eben jener Sache mit dem Rettungsboot“ entstanden und würde somit auch keinen bestimmten Stadtteil, wie bei den andere Gruppen, bezeichnen. „Pinass kommt von Pinasse, dem Beiboot, und Brumse ist die Kombination aus zwei Schiffen der deutschen Marine, die damals unter der Bezeichnung Brummer und Bremse in See stachen.“ 

Über den großen Teich, genauer gesagt aus Boise, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Idaho, kam Nicole Backhaus.
Die gebürtige Gevelsbergerin hatte in diesem Jahr die weiteste Anreise zum Auswärtigentreffen, an dem sie gemein-sam mit ihrem Vater Horst Walter Backhaus teilnahm. Mit 19 Jahren, so erzählte sie, sei sie aus Gevelsberg weggezogen. Unter anderem führte ihr Weg nach Honduras, wo sie ihren Mann David Ayarra kennen und lieben lernte. Das Glück perfekt machte vor 18 Jahren dann die Geburt von Tochter Emely. Nicole Backhaus berichtete weiter, dass die kleine Familie 2011
Zentralamerika verlassen hätte und in die USA über-gesiedelt sei. Zunächst in den Sonnen-staat Kalifornien, später dann in den Nordwesten nach Idaho. Der Grund: „Wir wollten unserer Tochter eine ordent-liche Schulbildung ermöglichen.“ Boise, so schwärmte sie, sei vielleicht unbekannter als andere Städte der USA, dafür aber unerwartet schön. Zu Besuch in Gevelsberg zu sein, dass sei für sie und ihre Tochter eine Art nach Hause zu kommen. Ein Satz, der Horst Walter Backhaus ein Lächeln ins Gesicht zauberte und zugleich deutlich machte, dass es völlig egal sei ob der aktuelle Wohnort 20 km oder, wie im Falle von Nicole Backhaus, 5.057 Meilen (rund 8.138 Kilometer) weit entfernt lag, am Ende stand für alle auswärtigen Gäste fest: Wo man lebt, dort ist man zu Hause, wo das Herz schlägt, da ist die Heimat.“                                                   André Sicks