Dienstag, 25. Juni 2024

Generalprobe für den Kirmeszug

Zu drei wichtigen Erkenntnissen kam der Bewertungsausschuss
vom Gevelsberger Kirmesverein am Ende seiner Rundreise über die Bauplätze der einzelnen Kirmesgruppen: Zum einen hatte man sich viel Kreatives einfallen lassen und dafür wieder mächtig ins Zeug gelegt; zum anderen überzeugten die Darstellungen mit einem hohen Niveau an Technik und in diesem Jahr ist die Themenvielfalt immens groß. 
Angefangen von der Steinzeit, geht es beispielsweise in die goldenen 20er-Jahre, zu den Anfängen des Gevelsberger Kirmeszugs, man taucht ab und landete am Ende bei den Problemen im Hier und Jetzt. „Ich bin mit hohen Erwartungen gekommen“, sagte der Vorsitzende vom Bewertungs-ausschuss, Bürgermeister Claus Jacobi, und zeigte sich begeistert, dass diese bei weitem übertroffen wurden. Zudem hätte man sich nach der Pandemie immens steil nach oben gearbeitet. „Das was wir heute schon zusehen bekamen, verspricht einen Zug der Spitzenklasse.“ 
Gute sieben Stunden dauerte die Rundreise, was der Tatsache geschuldet war, dass sich die Bewerter die Darstellungen genau ansahen, in deren Konstruktionen ein-tauchten und manch kleine Details unter die Lupe nahmen. „Ein Wunsch, den die einzelnen Gruppen im Vorfeld geäußert hätten“, kommentierte es der Geschäftsführer vom GKV, Dirk Henning.
 
Die erste Station lag in diesem Jahr nicht wie üblich bei der KG „Fidele Vogelsanger“ (sie werden ohne Bewertung am Zug teilnehmen) sondern bei der Kirmesgruppe „Berge“. Hier waren im wahrsten Sinne des Wortes die Puppen los. Auf dem Bauplatz hatte man nämlich die „Augsburger Puppenkiste“ mit Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer zu Gast. Das Lummerland der Kirmesfreunde hat alles, was man sich nur wünschen kann: zwei Berge, ein Schloss und eine Eisenbahnstrecke, auf der die Dampflokomotive Emma, mit einer lauten Dampfpfeife und Glocke, ihre Runden dreht. Beobachtet wird das Geschehen von König Alfons, dem Viertel-vor-Zwölften, der im Schlafrock aus rotem Samt, mit Pantoffeln an den Füßen und seiner Krone auf dem Kopf auf einem 4.50 Meter hohen Berggipfel residiert. 
Eine gemischte Süs-sigkeiten-Tüte für Kin-der, ´ne Currywurst Pommes und der le-gendäre Schrotti zäh-len zu den „Legenden des Ruhrgebiets“. Bei der Kirmesgruppe „Sil-schede“ erstreckt sich außerdem ein 5,70 Meter hoher Förder-turm in die Luft, der als Zeitzeuge und Kulturgut ein Überbleibsel vergangener Tage dient. Ein Koloss in der Landschaft, der anmutig ist. Ihm zu Füßen hat sich ein Büdchen angesiedelt, wo die Kumpels nach einer erfolgreichen Schicht und die Fußballfans der Traditionsmannschaften des Ruhrgebiets einkehren. 
Auf dem Börkey führt ein Weg die dort lebenden Steinzeit-menschen zu einem großen, aus Knochen gebautem Kirmestor, an dem der Hammer-schmied auf alle war-tet. Eine große statt-liche Erscheinung mit blauem Fell und ent-sprechendem Werk-zeug in der Hand. Gemeinsam mit ihm erlebt man fünf tolle Tage und hat Spaß an der Freude. Hier dreht sich unter anderem ein Karussell, was einem mit jeder Runde das Gefühl vermittelt, vogelfrei – dem Himmel ganz nahe – zu sein. Ein echter Hingucker ist das aus Kunstfell erbaute 3,85 Meter hohe und ca. 4,5 Meter große Mammut, was sich prächtig mit seinem Reiter präsentiert. Wenn das Zotteltier beim Kirmeszug durch die Straßen stampft, dann wird es auch von Steinzeitmenschen beobachtet, die am Fuße eines fünf Meter hohen und feuerspeienden Vulkans an ihrer Feuerstelle einige kulinarische Köstlichkeiten zubereiten. 
The Great Schnell-mark“ ist eine Bar die Zuversicht und Le-bensfreude versprüht, ganz so, wie man es in den goldenen 20er kannte. Ausgelassen wird hier das Tanzbein geschwungen und man sitzt zum Schlem-men an einer extra-vaganten Tafel zusam-men. Dem Anlass entsprechend tragen die Damen glamouröse Cocktail- und Fransenkleider mit glitzernden Perlen und Strass, lange Handschuhe aus schimmernder Seide, ein auffälliges Make-up und pompösen Schmuck. Die Herren haben sich in ihre Knickerbocker, Hosenträger, Schiebermützen und Nadelstreifen geschmissen. 
Der Kirmesgruppe „Mühlenhämmer“ geht es bei ihrem „Affen-theater“ einzig und allein um die grundle-gende Diskussion, wie man das ehemalige Rupprechtgebäude zu-künftig vielleicht nut-zen könnte. Hinter verschlossenen Türen wird diesbezüglich hef-tig diskutiert, geplant und verhandelt. Denn es stellt sich die Frage, was passiert eigentlich wenn die Fördermittel ausbleiben. Ein ca. 3,30 Meter großer Affe kann sich das ganze Theater nicht mehr länger mit anschauen. Für ihn steht fest, fehlende Gelder lassen sich nur durch einen neu geschaffenen Erlebnispark namens „Affenhaus“ erwirtschaften. Artgerecht an 5,60 Meter hohen Klettermöglichkeiten wie Bäumen, Schaukeln, Seile und einer Brücke sorgt dort das fröhlichen Treiben der flippigen Tiere für jede Menge Spaß. 
Zur großen rollenden XXL-Feierstunde „90 Jahre die Brumse“ steht deren 3,80 Meter große Gründer „Kapi-tän Ingenol“ seemän-nisch abgestützt auf einem Symbol seiner Mannschaft, um die Schar an Gratulanten persönlich zu empfan-gen. Er erscheint, so sagt der Vorsitzende Stefan Remmel, dem Betrachter noch nicht ganz fertig. „Genau so wie das Werk der Brumse nach 90 Jahren längst noch nicht fertig ist.“ Im „Pier 7“ ist aber schon alles für die Gäste vorbereitet. Auf sie warten kühlen Getränke – alles ein wenig überdimensioniert, so wie die immer wiederkehrende Herausforderung des Kirmeszuges. Und auch die Geburtstagstorte – präsentiert sich als ein konditorisches „großartiges“ Meisterwerk. 
Einfach mal raus aus dem tristen Alltag und rein ins Vergnügen. Genau das sagt sich die Kirmegruppe „Aechter de Biecke“ und gönnt sich eine Flugreise. Wohl oder übel muss man jedoch feststellen: „Flug ok – Check-in oje!“. Im deutschen Luftverkehr geht mal wieder gar nichts. Lange Wartezeiten und Menschenmassen vor der Gepäckabgabe und an den Sicherheitsschleusen herrscht eine Ratlosigkeit soweit das Auge reicht. Hinzu kommt, dass es Klima-Aktivisten wieder einmal gelungen ist, auf der Start- und Landebahn zu protestieren und diese zu blockieren. Von all dem bekommt ein, bis dato noch unbekannter, Prominente nichts mit, da ihn ein VIP-Shuttle Bus sicher und gekonnt zum Airport bringt. 
Aus der eher sanftmü-tigen Ennepe ist ein aufgebrachter Strom geworden. Der Grund für solch heftigen Wel-lengang ist ein Wal, der sich verirrt hat und nun voller Verzweif-lung versucht, irgend-wie einen Weg ins offene Meer zurück zu finden. Was letztlich jedoch dazu führt, dass die rüstigen Senioren bei ihrer alltäglichen Wasser-gymnastik ins Schwanken kommen und das Säugetier auch noch ein Ruderboot mit zwei Anglern attackiert. Eine Situation, die die Hippendorf-Besatzung eines Forschungs-U-Bootes akribisch beobachtet. Eigentlich war man nur abgetaucht, um den vorhandenen Lebewesen- und Fischbestand der Ennepe zu dokumentieren. 
Bei der Kirmesgruppe „Vie vam Kopp“ zieht es die junge Alice ins Wunderland, wo sie auf eine sich bewe-gende, vom Nebel um-hüllte, überdimensio-nale blaue Raupe namens Absolem trifft. Diese weist darauf hin, wie man mit etwaigen Schwierigkeiten fertig werden kann, die hier auf einen warten. An einem großen Tisch mit Stühlen lassen es die Wunderland-Bewohner so richtig krachen. Kein Wunder, dass bei solch ausgelassener Stimmung der ein oder andere auch mal auf dem Tisch das Tanzbein schwingt. Beeindruckt von all diesen skurrilen Erlebnissen steht Alice wenig später vor einem rund fünf Meter hohen Baum, zwischen dessen originalgetreuen Ästen eine bewegliche Grinse-katze herausschaut. Ein echtes „Highlight“ sind die sich hin und her bewegenden Spielkarten, die von unterschiedlicher Größe und an einer selbst konzipierten drei Meter langen Kurbelwelle – angetrieben durch Motoren – befestigt sind. „Ein technisches Meisterstück“, wie die Bewerter lobend feststellten. Die Karten geben im übrigen den Blick auf ein geteiltes, sich drehendes Schloss frei, wo die weiße und rote Königin in luftiger Höhe streiten, wer von ihnen die Schönere ist. 
Die schwungvolle Ver-filmung des erfolgrei-chen ABBA-Musicals begeisterte die Kir-mesgruppe „Im Dör-nen“ und man ent-schied sich dafür, mit „Mamma Mia!“ in die-sem Jahr das Publi-kum entlang der Kir-meszugstrecke bei gu-ter Laune in eine generationenübergreifende Story von Familie und wahrer Liebe eintauchen zu lassen. Frisch, fromm, fröhlich, frei feiern alle in einer griechischen Taverne, die im blau-weißen Ambiente des Landes getaucht ist, von deren Balkon man auf´s Meer blicken kann und vor der ein Brunnen sprudelt, welcher sich sein Wasser aus zwei 1.000 Liter Tanks zieht. Eigens für diese Party hat Donna ihre zwei besten Freundinnen Rosie und Tanya eingeladen, mit denen sie früher als „Donna and the Dynamos“ aufgetreten ist. Noch einmal schlüpft das Trio in seine glitzernden Outfits, in die irrsinnig weiten Schlaghosen mit üppigen Volants aus schimmernden Satin und den Plateaustiefel, um damit als „Dancing Queen“ das „Super Trouper“ bunte Treiben einzuläuten. 
Auf´s Fahrrad schwin-gen und raus in die Natur. So denkt die Kirmesgruppe „Dä vam Lusebrink“ und radelt entspannt durch die Landschaft. Doch dann erreicht man die 2,80 m hohe Brücke, die zwischen dem Bahnhof Gevelsberg-West und Silschede liegt und über die Haßlinghauser Straße führt. Was die Luse hier zu sehen bekommt, ist nichts außer eine Baustelle ohne Leben. Etwaige Bagger oder Bauarbeiter – Fehlanzeige. Der Asphalt auf der Brücke ist zwar schon gegossen und es wurden auch bereits vorläufige Geländer angebracht, ansonsten allerdings präsentiert sich ihnen der Fahrradweg 2024 als ein ruhendes Projekt – und dies seit nunmehr sechs Jahren. Als wäre diese Baustelle nicht schon ärgerlich genug, erleben die Kirmesfreunden im weiteren Verlauf ihrer Fahrradtour noch ein weiteres innerstädtisches Problem – den Realschule-Umbau. Architekten und Handwerkern fehlt hierbei irgendwie der Durchblick. Wirr laufen sie umher, schauen irritiert in Pläne und auf Zeichnungen. Dabei wird es doch langsam einmal Zeit, dass die Gebäude endlich im neuen Glanz erstrahlen. 

Für die Kirmesgruppen war diese Rundreise eine Art Generalprobe. Egal auf welchen Bauplatz man auch kam, die Vorfreude ist riesig und die Stimmung nähert sich ihrem absoluten Höhepunkt. Wer letztlich ganz oben auf der Siegerliste steht, das wird sich erst nach dem Kirmeszug zeigen. Zwar spielen die gesehenen Ideen und Ausführungen eine wichtige Rolle, es kommt aber auch auf deren Wirkung im Zug an. Alle Darbietungen – Wagen, Einzelgänger, Fuß-, Kinder- und Frauengruppen – sind absolute Hingucker. Von daher werden die Herren Bewerter bei ihrer Punktevergabe die Qual der Wahl haben. 
Darüber war sich auch Falk Ramme im Klaren. Der Chef der Feuerwehr hatte erstmalig an der Rund-reise vom Bewertungsausschuss teilgenommen. „Eine große Ehre und enorme Aufgabe“, wie er sagte. Er sprach von einem kreativen Potenzial, auf das man in Gevelsberg stolz sein dürfe. Mit Blick auf das oftmals schlechte Wetter, so fügte er respektvoll hinzu, müsste man den Gruppen ein großes Lob dafür aussprechen, was „sie so alles auf die Beine gestellt“ hätten. „Insbesondere auch jenen, die durch die Unwetter gezwungen waren, Beschädigtes wieder neu aufzubauen.“ In Richtung der Zuschauer da rührte er abschließend noch kurz die Werbetrommel und versicherte, dass es „ein wahnsinnig toller und unterhaltsamer Kirmeszug“ würde. Kurz gesagt: „Kommen Sie und überzeugen Sie sich selbst“.                                                                                                                    André Sicks