Donnerstag, 27. Juli 2023

Ein halbes Jahrhundert „Dä vam Lusebrink“ - ein halbes Jahrhundert Kirmesgeschichte

Die Zelte stehen bereits,
die Lichterketten werden gerade aufgehangen. Auf dem Bauplatz der Kirmesgruppe „Dä vam Lusebrink“ im Loch am Gierling laufen die Vorbereitungen für das Sommerfest am kommenden Wochenende auf Hochtouren. Ein besonderes, wie der Ehrenvorsitzende Alfred Fiedler erzählt, da „wir in diesem Jahr nämlich unser 50-jähriges Bestehen feiern“. Fredi, wie er von allen genannt wird, sitzt gemeinsam mit Mitbegründer Gustav Reichard auf einer Bank, beide beobachten sie das Wirken und Werken um sich herum; schwelgen zugleich aber auch in Erinnerungen. Denn vor ihnen liegen alte Fotoalben und Dokumente, die auf fünf Jahrzehnte buntes Kirmestreiben zurückblicken. „Eine Zeit mit Höhen und Tiefen“, wie sie sagen. 

Alles begann nach dem Kirmeszug 1973 und steht in Verbindung mit dem ehemaligen Kaufhaus Horten, erzählt Reichard. „Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren von den Darstellungen im Zug so begeistert, dass sie während der Mittagspause den Wunsch äußerten, als eigene Kirmesgruppe bei diesem Spok mitzumachen.“ Eine völlig zwanglose Idee, die am 17. Oktober des gleichen Jahres jedoch Realität wurde. Rund 30 Frauen und Männer, alle vornehmlich in der Teppichabteilung des Kaufhauses beschäftigt, so erinnert er sich, hoben im Beisein des geschäftsführenden Vorstands vom Kirmesverein die 14. Gevelsberger Kirmesgruppe mit der Bezeichnung „Hortensia“ aus der Taufe. „Auch wenn die meisten keine Ahnung hatten, wie das mit der Kirmes überhaupt so abläuft.“ 
Newcomer, die glücklicherweise in Friseur Edmund Gissel einen erfahrenen Kirmesfreund fanden, der in diesem Brauchtum zu Hause war und den sie bei ihrer ersten Jahreshauptversammlung, die am 10. Januar 1974 in der Gaststätte Menting auf der Juliushöhe stattfand, zum 1. Vorsitzenden wählten. Wer ihm begegnete, so kann sich Fredi Fiedler noch gut erinnern, der sagte oftmals: „Da kommt der kleine Mann mit der Zigarre“. Ihm folgten später auf diesem Posten Sigurd Greven, Dieter Hoeft, Fiedler selbst, Reinhard Hupka, Fabian Heinemann und aktuell Ralf Hammacher. 
Doch zurück zur Anfangsphase: Es schien bei „Hortensia“ zunächst alles in Butter zu sein. „Allerdings hatten wir die Rechnung ohne den Kirmesverein gemacht.“ Gustav Reichard kann sich noch all zu gut daran erinnern, dass der damalige Vorstand und die anderen Gruppen „unsere Namensgebung aufgrund der Anlehnung an den Firmennamen Horten“ ablehnten. Der Grund dafür sei die Tatsache gewesen, dass es wegen angeblicher Werbung im Kirmesgeschehen bereits schon einmal Ärger gab. Nach mehreren Diskussionen einigten sich alle letztlich auf die Bezeichnung „Dä vam Lusebrink“, dem Standort ihrer Arbeitsstätte. 

Fredi und Gustav können so viel über die Gründungszeit und die darauffolgenden Jahre berichten. Darüber das man alleine viermal den Bauplatz (auf dem Gelände der AVU, bei Bauer Mielke an der Scharlicke, in der Heidestraße und seit 1997 im Loch am Gierling) wechselte, dass Fredi, obwohl erst 1974 offiziell als Mitglied anerkannt, von Beginn an mit seinen handwerklichen Fähigkeiten anpackte, fehlendes Werkzeug von zuhause mitbrachte und beim ersten Kirmeszug am Steuer des LKW saß, da er der einzige mit einem Führerschein der Klasse 2 war. Nicht unerwähnt lassen die beiden, dass die anfängliche Euphorie vieler Mitglieder nach diesem Zug sehr schnell verflogen war und nur noch echte Kirmesfreunde, allen voran Gissel, Brauer, Reichard und Fiedler, weitermachten. „Im Laufe der Jahre erlebten wir ein ständiges auf und ab was die Mitgliederzahlen betrifft, momentan liegen wir bei 12.“ Wenn sich eines aus all ihren Erzählungen feststellen lässt, dann ist es die Tatsache, dass man sich in guten wie in schlechten Zeiten niemals unterkriegen lässt. 

Wenn Alfred „Fredi“ Fiedler und Mitbegründer Gustav Reichard in die alten Fotoalben und Dokumente schauen oder sich die Auszeichnungen im Vereinsheim anschauen, dann werden manche Erinnerungen geweckt, die auf ein halbes Jahrhundert Kirmesgeschichte verweisen. 

Seit ihrer Kirmeszugpremiere am 9. Juni 1974 ist die Kirmesgruppe „Dä vam Lusebrink“ aus dem bunten Treiben nicht mehr wegzudenken. Mit ihren Wagendarstellungen erzielten sie über 20 Mal einen einstelligen Platz. Gerne denken Fredi und Gustav dabei an Motive wie zum Beispiel „Wie fahren nicht nach Norden, Süden, Westen – der Urlaub in Gevelsberg ist am Besten“ (1975) oder an den Klapperstorch zurück, der 1979 „wieder her musste, da es aufgrund der Antibabypille keine Babys mehr geben würde“. Zum 100-jährigen Stadtjubiläum drehte sich auf ihrem Wagen ein Karussell der Zeit und 1991 servierte man den Zuschauern „Tutti ohne Frutti“. Ein Jahr später gelang den Kirmesaktiven dann mit „Oooh Baby, Baby Balla Balla“ ein ganz großer Wurf. Zwar nicht der Pokalsieg, wie Alfred Fiedler erzählt, aber „erstmalig erreichten wir den zweiten Platz“ und dies löste regelrechte Jubelarien in der Aula auf der Geer aus. Nicht unerwähnt lässt er das Jahr 2002 wo man auf die „Zustände wie im alten Rom“ aufmerksam machte, 2004 als man ins „Land des Lächelns“ zum Tenno, Kaiser Horst Brauer, reiste und 2022, als „wir erstmalig den Wanderpokal des Bürgermeisters für die beste Darstellung“ zugelost bekam. Es war der erste Kirmeszug nach der zweijährigen Corona-Pandemie, bei dem sich alle Gruppen im Vorfeld darauf verständigt hatten, dass es für die einzelnen Darstellungen keine offiziellen Punkte durch den Bewertungsausschuss geben sollte. „Was uns in die Hände spielte“, kommentiert Fiedler diesen besonderen Moment und lässt nicht unerwähnt, dass er bei der Pokalübergabe mit einem Augenzwinkern zum Bürgermeister gesagt hätte, man solle solch eine „Art der Bewertung ruhig beibehalten“.
 
Am 9. Juni 1974 nahm die neugegründete Kirmesgruppe „Dä vam Lusebrink“ erstmals am Gevelsberger Kirmeszug teil und persiflierte dabei das neu eingeführte Punktesystem der Verkehrssünderkartei in Flensburg, das vom Bewertungsausschuss mit dem 13. Platz bedacht wurde. 

Besonders stolz ist man beim Lusebrink jedoch auf die zahlreichen zuerkannten Sonderpreise für die originellste oder humorvollste Darstellung sowie auf die fünf 1. Preise für den Einzelgänger. Allein Horst Brauer, der von 1973 bis 2008 als Kassierer stets die „Kröten“ zusammen hielt, war dabei drei Mal erfolgreich. Bis ins hohe Alter sorgten seine Darstellungen, beispielsweise als geschröpfter Patient mit dem Kopf unterm Arm, als Boris Becker oder als halb Frau / halb Mann, vielfach für Furore. „Horst war, neben Michael „Willi“ Sichelschmidt, einer der besten und stärksten Einzelgänger“, heben Fiedler und Reichard das Engagement des Lusebrink-Mitbegründers hervor. Zudem war er auch im Präsidium des Gevelsberger Kirmesvereins tätig und wurde 1992 zum Ritter von Hopfen und Malz ernannt. Horst Brauer starb in der Nacht zum Kirmesmontag, am 27. Juni 2016, im Alter von 86 Jahren. Für die Kirmesgruppe ein großer Verlust. 

Horst Brauer gehörte nicht nur zu den Mitbegründern der Kirmesgruppe „Dä vam Lusebrink“, er war ein Charmeur der alten Schule und mit seinen spontanen, lustigen Ideen, wie zum Beispiel 1985 als Boris Becker, begeisterte er immer wieder sein Umfeld. 

In fünf Jahrzehnten ist es „uns aber immer wieder gelungen, die Wagen im Kirmeszug mit spokenden Leuten zu besetzen und Fußgruppen, Einzelgänger sowie Frauen- und Kindergruppen auf die Beine zu stellen“, freuen sich die beiden Urgesteine Fiedler und Reichard. Ihr Blick in die Zukunft ist recht zuversichtlich, allerdings wäre es schön, wenn man noch weitere Interessierte als Mitglieder gewin-nen könnte. „Doch hier sprechen wir von einem Problem, dass bei allen Vereinen die Runde macht.“ Daher wird man auch außerhalb der Kirmes, hier verweist das Duo auf ihren Bierstand beim Boulevard Gevelsberg, weiterhin aktiv sein, um Kinder, Jugendliche und Erwachsene für das Brauchtum Kirmes zu begeistern. Nicht unerwähnt lassen sie abschließend, dass man in all den Jahren stets freundschaftliche Kontakte mit den anderen Gruppen und Geselligkeit pflege. „Was man bei unserem Sommerfest live erleben kann und uns ebenfalls eine Möglichkeit bietet, neue Mitstreiter für die nächsten Jahre zu gewinnen.“                 André Sicks